Eric Keller
lebt und arbeitet in Dresden
Erinnerung an die Gegenwart
von Sebastian Preuss
Diese Bilder haben eine Sogkraft, die man sich zunächst gar nicht so recht erklären kann. Es wird ja nichts Aufregendes gezeigt: verlassene Straßen, die irgendwo in eine ortlose Topografie führen, einsame Sitzbänke, Park- und Rastplätze, unscheinbare Nutzbauten, Bahnübergänge, Bushaltestellen, ein Garagenhof oder ein Vereinsheim, immer wieder die verblichenen Wände in aufgegebenen Kulturhäusern aus DDR-Zeiten. Zuweilen haben sich ein oder zwei junge Menschen in diese ungastlichen Landschaften verirrt, dann fragt man sich: Was wollen die hier eigentlich? Auch die malerischen Mittel zielen nicht auf spektakuläre Effekte. Im Gegenteil, das Kolorit ist gedämpft und fahl, alles Ton in Ton, das ausgeblichene Violett, die erdigen Farben, viel Beige und Gelb und Braun. Zudem wird die Bildwelt von einer hauchzarten Unschärfe überzogen. Alles erscheint irgendwie abgeklärt, unspektakulär, ohne Höhepunkte. Nichts geschieht, was uns schnell überwältigen könnte.
Aber genau in dieser merkwürdigen Stimmung, die sich nicht leicht in Worte fassen lässt, in dieser Aura irgendwo zwischen Banalität des Alltags und irrealer Magie liegt der große Reiz von Eric Kellers Gemälden. Viele von ihnen wirken wie eingefrorene Stills aus einem melancholischen Roadmovie, und man tut gut daran, sich auf den ruhigen Drive einzulassen. Die Geduld lohnt sich, denn je länger man die Bilder anschaut, desto mehr offenbaren sich ihre inhaltlichen wie ästhetischen Tiefenschichten. Dann erweisen sich die Motive in ihrer vermeintlichen Alltäglichkeit und „Normalität“ als etwas ganz Außergewöhnliches, nämlich als so sehr ausgeklügelte Kompositionen, dass in ihnen nichts austauschbar oder an anderer Stelle denkbar ist. Es sind die perfekten Augenblicke einer Erinnerungsarbeit, die aus Myriaden von Seherfahrungen jene visuellen Körnchen herauspickt, die ein außergewöhnliches Kunstwerk auslösen können.
Eine stille Sensation ist auch Kellers Malstil. Die oft groß angelegten Farbflächen sind nur auf den ersten Blick monochrom; in Wirklichkeit haben sie ein vielfältiges Innenleben. Sie changieren in ihren Nuancen, entwickeln sich am Himmel der Landschaften von mattem Grau zu subtil aufglühendem Orange, von gelblichem Blau zu Rosa, auf den Straßen zu verdunkeltem Asphalt oder aufgehelltem Violett. Indem Keller seine Formationen immer wieder übermalt, tun sich unter den Oberflächen raffinierte Tiefenschichten auf. So setzt sich jedes Kolorit aus verschiedenen Farben zusammen, übereinander gelagert, in dünnen Schlieren durchscheinend, mal strähnig, mal feinkörnig, zuweilen diffus aufgelöst wie im Säurebad. Souverän demonstriert Keller sein Können bei den Blicken in ausgediente Kulturhäuser und Gasthöfe, meist in seiner Heimat Sachsen. Dort faszinieren ihn die ausgeblichenen, im Verschwinden begriffenen Wandfarben. Was in den realen Gebäuden der Lauf der Geschichte und die Auflösungskraft der Natur bewirkten, führt Keller auf der Leinwand zu einer besonders komplexen Malerei. Die Darstellungen des Verfalls werden bei ihm zu ausgewaschenen oder zerrissenen, wolkigen oder rieselnden Abstraktionen – meisterliche Kabinettstücke, bei denen man sich immer wieder fragt, ob hier tatsächlich eine Wand oder ein Bild im Bild gemeint ist.
Je intensiver man hinschaut, desto besser erfassen die Augen den transparenten, vibrierenden und schillernden Reichtum von Kellers Farbgeweben. Seine Bilder sind jenseits der gegenständlichen Darstellungen auch Manifeste dafür, was mit den Mitteln der Malerei alles zu erreichen ist. Aber Keller arbeitet nicht konzeptuell. Er braucht keine theoretische Unterfütterung und lädt seine Bilder nicht mit kalkulierten Verweisen auf. Die Intuition und das innere visuelle Gedächtnis spielen eine wichtig Rolle. Im Gegensatz zu den meisten gegenständlichen Malern heute nutzt er keine Fotografien als Vorlagen. „Alles, was ich male, habe ich real gesehen“, erklärt Keller. „Aber ich halte in den Landschaften und Architekturen nichts fest, fotografiere auch nicht. In dem Moment vor Ort weiß ich noch nicht, dass ein Bild daraus entstehen wird.“ Ein unbewusstes Speichern. Beim Malen kehrt Keller in seiner Fantasie in die Räume und topografischen Situationen zurück. Er muss die Eindrücke aber alle tatsächlich erlebt haben. „Sonst werden sie für mich nicht benutzbar.“
Es ist eine Erinnerung, die aus der Gegenwart kommt. Und zwar ein reales Heute, denn die meisten Eindrücke, die Keller seit 2011 in seinen Bildkosmos überführte, erfuhr er in Sachsen. Hier kam er in Grimma zur Welt, hier erhielt er als 19-Jähriger seine ersten künstlerischen Anregungen bei einem Leipziger Maler, bevor er an der Nürnberger Akademie mit dem Studium begann. Sehr viel prägender war die Zeit an der Dresdner Kunsthochschule. „Dort wurde gemalt“, sagt Keller lapidar. In Leipzig beendete er das Studium. Nun könnte man leicht auf die figürliche Tradition verweisen, die nach dem Ende der DDR weiterlebte oder sich eines der sinnlosen Labels wie dem der „Neuen Leipziger Schule“ bedienen. Aber das trifft den Kern von Kellers Kunst nicht. Weder mit „Dresdner“ noch mit „Leipziger“ Strömungen setzt er sich prägend auseinander, auch wenn dort Interieurs und Architekturen öfter vorkommen. Kellers entrückte Pinselschrift, der auratische Einsatz der Farben, das Angedeutete und Schemenhafte, all das lässt sich ebenso gut mit dem Belgier Luc Tuymans vergleichen, um nur ein Beispiel zu nennen. Und ein Werk wie Kellers „Schönbach“, das vor südlich glühendem Himmel nichts anderes zeigt als einen weiß-kubischen Bau auf dünnen Pfeilern à la Corbusier, ließe sich spontan auch einem kalifornischen Künstler zuweisen. Dabei geht die Anregung auf ein Küchenstudio an einer sächsischen Schnellstraße zurück. Doch lokalisierbare Details sind bei Keller – auch dort, wo es sie tatsächlich gibt – nichts Wesentliches. Er überführt seine Seh-Erinnerungen in eine malerische Fiktion, angesiedelt in einer ortlosen Sphäre voller Stimmungen und Gefühle. Auch wenn der visuelle Fundus viel mit Sachsen und einiges mit der Hinterlassenschaft der DDR zu tun hat, ist es in der Methode keine „ostdeutsche“ Malerei (32 Jahre nach dem Mauerfall sollte man diese Kategorisierung ohnehin auf den Müll der Geschichte werfen). Es ist eine heutige Malerei.
Biographie
1985
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geboren in Grimma
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2006-08
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Studium der Bildenden Kunst an der AdBK Nürnberg bei Prof. Rolf-Gunter Dienst |
2008-14
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Studium der Malerei an der HfBK Dresden bei Prof. Elke Hopfe und Prof. Ralf Kerbach |
2016-18
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Meisterschüler an der HGB Leipzig bei Prof. Annette Schröter |
Ausgewählte Einzel- und Gruppenausstellungen
2024 | Landschaft?!, Galerie Biesenbach, Köln (G) |
2023 | Ginstergrund, Galerie Poll, Berlin (E) ART MATTERS 8, Galerie Biesenbach, Cologne (G, online) |
2022 | spellbound, Galerie Leuenroth, Frankfurt/Main (E) Gruppenausstellung, Galerie Wellemeyer, Plau am See (G) Speed Dating, Motorenhalle Dresden (G) Speed Dating, Theatre des Exposition/Palais des Beaux Arts, Paris (G) |
2021 | Eric Keller – Malerei, Schaulager der Galerie Poll, Berlin (E) Von der Kunst, Kunst zu fördern, Städtische Galerie Dresden (G) Kunstpreis Kunst, Psyche und Gesundheit – Shortlist 2021, FBZ, Ruhr-Universität, Bochum (G) |
2020 | Nachsaison, Galerie Poll, Berlin (E) Traces (mit Thoas Fißler), AG Galerie Schwerin (E) Existenz Kapitel II: Spuren, Oktogon, HfBK Dresden (G) Ereignis Malerei, Tapetenwerk Leipzig (G) Im Gehäuse – Atelierdarstellungen Leipziger Künstler*innen, Kunsthalle des Sparkasse Leipzig (G) |
2019 | Interference (mit Katrína Dubovská), Galerie Stephanie Kelly, Dresden (E) paravent (mit Carolin Israel), plan.d., Düsseldorf (E) Neuzugänge zeitgenössischer Kunst im Kunstfonds 2019, Vertretung des Freistaates Sachsen beim Bund, Berlin (G) Wonderwall, Galerie Leuenroth, Frankfurt/Main (G) Win Win«, Halle 14, Leipzig (G) In Memoriam – Hieronymus Wachter, Galerie Irrgang, Leipzig (G) Deutsche Heimat, Galerie Holger John, Dresden (G) KONVOI, Galerie Leuenroth, Frankfurt/Main (G) |
2018 | Stille Drift, Galerie Poll, Berlin (E) HALALI (mit Michael Klipphahn), Museum Schloss Klippenstein, Radeberg (E) Ursulasalon, Galerie Ursula Walter, Dresden (G) Collisione, LAZ Galerie, Zürich, CH (G) KONVOI, Galerie Rothamel, Erfurt (G) M18, HGB Leipzig (G) Existenz Kapitel 1: Skizzen, Oktogon, HfBK Dresden (G) Aphrodisiac, Galerie Evelyn Drewes, Hamburg (G) Eberhard-Dietzsch-Kunstpreis, Volksbank Gera (G) Rundgang HGB Leipzig (G) |
2017 | Rupfen in fremden Gärten (mit Michael Klipphahn), Kunztraum, Dresden (E) Rücksitz Cinema, Galerie Leuenroth, Frankfurt/Main (E) Liebelei, objekt klein a, Dresden (G) The human aspect I + II – zeitgenössische figurative Positionen, Barlachhalle Hamburg (G) Mitten im Mai :: Malerei, Kunstverein Sulzfeld (G) The human aspect II – zeitgenössische figurative Positionen, Galerie Ursula Walter, Dresden (G) Klasse Klasse!!, Tapetenwerk, Leipzig (G) Seitenwechsel, Galerie Leuenroth, Frankfurt/Main (G) Rundgang HGB Leipzig (G) Stadt-Land-Raum – Sammlung Zander-Schürer, Kunztraum, Dresden (G) |
2016 | Gruppenshow, Galerie Leuenroth, Frankfurt/Main (G) Markt, Kunztraum, Dresden (G) Ich dachte, Sie wären nur ein armer Schlucker!, KOMMUNALKA, Leipzig (G) no3 Positur!, Galerie FF15, Leipzig (G) Dresden, Galerie Hoffschild, Lübeck (G) My Heart´s in the Highlands«, Galerie junge zeitgenössische Kunst, Chemnitz (G) Na dosah/Greifbar nah, Kunstmuseum Galerie Cheb, CZ (G) Na dosah/Greifbar nah, Kunstmuseum Galerie Plsen, CZ (G) |
2015 | Ein Date am Kanal, Galerie Leuenroth, Frankfurt/Main (E) Eric Keller, galerie baer, Dresden (E) Präsentation des Werkes "Talsperre" im Rahmen der VA "Begegnung der Künste", Lichthof Albertinum, Dresden (E) Bilder im Filmprojekt "24 Wochen" von Anne Zohra Berrached (G) |
2014 | Novemberkind, galerie baer, Dresden (E) Santa Cloud, galerie baer, Dresden (G) okay.whiteout, Delikatessenhaus Leipzig (G) Startpoint Prize, DOX, Prag (G) Postcards from The East, APT Gallery, London, GB (G) Diplomausstellung, HfBK Dresden (G) Mensch werde wesentlich, KV Freunde Aktueller Kunst, Zwickau (G) Dada TY, HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste, Dresden (G) Landschaften, Galerie Poll, Berlin (G) inner cities, Galerie Irrgang, Berlin (G) |
2013 | Eric Keller/Simon Rosenthal - Malerei und Zeichnung, Galerie Poll, Berlin (E) Wintercollective II, Galerie Irrgang, Leipzig (G) All Star Cast, galerie baer, Dresden (G) Hype, geh8, Dresden (G) |
2012 | Freizeittreff Fortschritt, Galerie Irrgang, Leipzig (E) Von Nah und Fern (mit Carolin Israel), Galerie der HfBK Dresden (E) Addition, galerie baer, Dresden (G) Frühwerk, F14, Dresden (G) Keine Bilder ohne Liebe, Galerie Poll, Berlin (G) Kabinettausstellung, Galerie Irrgang, Leipzig (G) |
2011 | Andreas Wachter und Eric Keller, Galerie Irrgang, Berlin (E) Frühjahrssalon, Galerie ZanderKasten, Dresden (G) Wintercollective, Galerie Irrgang, Leipzig (G) Kellerausstellung der Gruppe ZWANZIGZEHN, Dresden (G) |
2010 | Seminar, Galerie Irrgang, Leipzig (G) |
Ausgewählte öffentliche Sammlungen
- Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
- Städtische Galerie Dresden
- Kulturstiftung des Freistaates Sachsen
- Galerie Neue Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
- Ostsächsische Sparkasse Dresden
- PPZK Deutschland
- Kunstsammlung der Roland-Graefe-Stiftung
Ausgewählte Bibliografie
- Galerie Poll (Hrsg.): Eric Keller – Nachsaison; Berlin; 2021
- Eva und Lothar C. Poll (Hrsg.): Keine Bilder ohne Liebe; Druckerei Conrad; Berlin; 2012; ISBN: 978-3-931759-32-2
- Galerie Irrgang GbR Leipzig/Berlin (Hrsg.): Eric Keller – Freizeittreff Fortschritt; Leipzig 2012
- Diplomkatalog, HfBK Dresden, 2014
- Torsten Klaus: Ödnis und Fülle; in Dresdner Neueste Nachrichten, 16.10.2014
- Katja Lindenau: Die Wärme des November; in SAX 10/14, S. 27
- Liane Wendt: Auf der Suche nach der inneren Ruhe – Eric Keller; in kunnst Sommer 2016, S. 14 bis 21
- Wilhelm Werthern: Eric Keller – Künstler des Monats; in LE MONDE diplomatique, Deutsche Ausgabe, Mai 2016
- Kulturkreis Sulzfeld/Galerie Leuenroth (Hrsg.): Mitten im Mai; Lubok Verlag; Leipzig 2017; ISBN: 978-3-945111-36-9
- Karl Kowalke (Hrsg.): Liebelei; Dresden 2017
- Patrick-Daniel Baer: Rupfen in fremden Gärten – Eric Keller und Michael Klipphahn; www.cybersax.de
- Patrick-Daniel Baer: Der Laptop, der auf einer Bank sitzt; in Dresdner Neueste Nachrichten, 28.05.2018
- Christiane Meixner: Urbane Romantik – Eric Keller in der Galerie Poll; in Tagesspiegel, 23.07.2018
- Eva und Lothar C. Poll (Hrsg.): Abenteuer Kunst – 50 Jahre Galerie Poll; Katalogdruck-Berlin; Berlin; 2018; ISBN: 978-3-931-759-40-7
- Annette Schröter (Hrsg.): KONVOI – Annette Schröter und Meisterklasse; Pöge Druck, Leipzig 2018
- Patrick-Daniel Baer: Der Heimat-Hirsch; in Dresdner Neueste Nachrichten, 28.03.2019
- Patrick-Daniel Baer: Interference; in SAX, November 2019
- Patrick-Daniel Baer: Hybride Verbindung; in DNN, 21.11.2019
- Echo Licht, Ausgabe 2: Über das Feiern, Kulturheldenradio, 2020
- Berliner Abendschau, rbb, 31.10.2020
- Bund Bildender Künstler Leipzig e.V. (Hrsg.): Ereignis Malerei 2020, Leipzig 2020
- Julia Christian: State of the Art oder Kunstkränzchen – Oskar Rink im Gespräch mit Eric Keller; in Stadtluft Dresden, Bookzin 5, S. 60-63, Dresden 2020, ISBN 978-3-86530-264-9